Psychische Erkrankungen auf Reisen
Psychische Erkrankungen auf Reisen oder durch Reisen? Reisen sind in den Köpfen der Menschen oft mit positiven Vorstellungen verbunden. Wer ins Ausland reist – egal ob für kurz oder lang – kann die fremde Umgebung entdecken und viel Neues ausprobieren. Im Ausland gibt es viele Abenteuer, die auf einen warten. Es gibt viel zu sehen und selbst zu erfahren.
Was oft nicht bedacht wird: Auslandsreisen und das Leben in einer fremden Kultur können jedoch auch stressig und risikobehaftet sein. Wer sich ins Abenteuer stürzt, kann auch mit unangenehmen Situationen und möglichen Gefahren konfrontiert werden. Diese sind nicht immer leicht zu verarbeiten. Das hat Folgen, im schlimmsten Fall auch langfristig.
Reisen mit unangenehmen Folgen
In der Reisemedizin wird der Fokus mehr auf die körperlichen Erkrankungen (wie Infektionen) gelegt. Außerdem findet man viele allgemeine Tipps zum Thema „Stress und Urlaub“. Denn Urlaub ist ja sozusagen dafür da, um sich vom Arbeitsstress auszuruhen und neue Kraft zu tanken. Das Ziel: wieder fit und erholt zur Arbeit zurückkehren. Der psychischen Gesundheit im Reisekontext wird bisher wenig Beachtung geschenkt. Daher gibt es noch wenige wissenschaftliche Untersuchung in diesem Bereich.
Psychische Gesundheit – Definition. Als „psychische Gesundheit“ wird der Zustand des Wohlbefindens bezeichnet, in dem eine Person in der Lage ist, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zu nutzen um die normalen Belastungen des Lebens zu bewältigen, am Arbeitplatz produktiv zu sein, seinen Hobbies nachzugehen und soziale Kontakte zu pflegen.
Psychische Erkrankungen – Definition. Psychische Erkrankungen sind Störungen der psychischen Gesundheit, die durch eine Kombination von belastenden Symptomen einhergehen. Die psychischen Beschwerden äußern sich kognitiv (gedanklich), emotional, körperlich sowie in bestimmten Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen Menschen. Beispiele für psychische Erkrankungen sind depressive Episoden (Depression), Angststörungen, Zwangsstörungen, Traumafolgestörungen, Persönlichkeitsstörungen und Psychosen. Während man psychisch leidet, ist es oft nicht leicht, normal im Alltag zu „funktionieren“. Die Betroffenen leiden unter den psychischen Beschwerden und haben oft in bestimmten Lebensbereichen Probleme (u.a. Leistungsverlust am Arbeitsplatz, sozialer Rückzug und Isolation, Konflikte in der Partnerschaft uvw.), die sie alleine nicht mehr bewältigen können.
Reiselust und Reisefrust
Deutsche Reiselust. Die Deutschen haben viel Freude am Reisen. In den letzten Jahren wurde viel gereist. Um genauer zu sein wurden 70.8 Millionen Urlaubsreisen im Jahr 2019, also noch vor der COVID-19 Pandemie, gebucht. Während der Pandemie war die Reiselust trotz der Gefahr an COVID-19 Virus zu erkranken sehr hoch. Trotz Einschränkungen wurden im Jahr 2020 rund 50.5 Millionen und im Folgejahr genau 55.1 Millionen Reisen gebucht. Im Jahr 2022 waren es gute 67 Millionen, beinah so viele wie vor der Pandemie. Dieses Jahr (2023) werden mindestens genauso viele Buchungen, wenn nicht noch mehr (zwischen 65 Mio. und 75 Mio.) erwartet (Reiseanalyse, 2023). Kein Wunder, dass wir zu den reiselustigsten Völkern zählen.
Deutsche Reisefrust. Fakt ist, Reisen gehört zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten. Aber was ist, wenn der ach so schöne und teure Urlaub gar nicht genossen wird? Wenn der Urlauber nicht abschalten kann und zum Beispiel nur an die Arbeit (oder andere Stressoren) denkt oder sogar die Arbeit mit in den Urlaub nimmt? Was ist, wenn man seine eigenen Bedürfnisse nicht nur im Alltag zugunsten der Familie (oder Freunde) stellt, sondern sich auch noch im Urlaub unterordnet und somit immer wieder zu kurz kommt? Und vor allem, wenn man schon bereits körperlich oder psychisch angeschlagen ist und der Urlaub keine Erholung bietet und die Beschwerden sich noch weiter verschlimmern? Zudem bietet eine Auslandsreise nicht nur positive Reiseerfahrungen. Im Ausland kann man mit unangenehmen und gefährlichen Situationen konfrontiert werden, die gewisse Spuren hinterlassen können. Reisende können also nach ihrer Reise im schlimmsten Fall eine psychische Erkrankung mit „nach Hause bringen“ oder ihre psychischen Beschwerden durch die unangenehmen Reiseerfahrungen verstärken. Daher bin ich der Meinung, dass die psychische Gesundheit (bzw. psychische Erkrankungen) eine größere Rolle im Reisekontext erhalten sollten.
Typische psychische Erkrankungen auf Reisen und nach längeren Auslandsaufenthalten
Wenn Reisen krank machen. Stress kann man nicht nur im Alltag erleben. Stressreaktionen kann unser Gehirn überall auslösen, unabhängig vom Ort. Zu den Stressoren im Urlaub, die psychische Beschwerden auslösen oder zu einer erneuten Dekompensation führen können, gehören sowohl äußere Rahmenbedingungen (wie Langstreckenflüge und Jatlag, Sprachbarriere, fremde Kultur, Klima, Menschenansammlungen, Reisegruppendruck, Reizüberflutung) als auch interne Faktoren (soziale Isolation, Sensation-Seeking). Neben belastenden (auch traumatisierenden) Reiseerfahrungen, Kulturschock, können auch Nebenwirkungen nach Einnahme oder nach dem Absetzen von bestimmten Medikamenten (z.B. psychiatrische Medikamente oder Mefloquin gegen Malaria) psychische Beschwerden auslösen.
Was in der Wissenschaft bereits bekannt ist: Einigen Studien zufolge können sich folgende psychische Erkrankungen während oder nach einer Reise entwickeln:
- Anpassungsstörungen, „Kulturschock“ und „reverse culture shock“ (Kulturschock von der eigenen Kultur nach Rückkehr in die Heimat)
- Traumatisierungen und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
- Angststörungen wie zum Beispiel Klaustrophobie, Höhenangst (Akrophobie), Flugangst und andere Phobien
- affektive Störungen (depressive Episoden)
- Entzugserscheinungen aufgrund von Abhängigkeit (Alkohol, Medikamente)
- Wiederkehrende psychotische Episoden (Psychose)
- Andere Beschwerden, Reise-Suizid und Syndrome wie „Holiday Blues“ (Urlaubsdepression) bzw. „Post-Holiday-Syndrom“; „Jerusalem-Syndrom“, „Venedig-Syndrom“ bzw. Suizid-Syndrom, „Golfkrieg-Syndrom“, „Paris-Syndrom“, „Stendhal-Syndrom“ und „Airport Wandering“.
Was kann ein Reisender tun?
Von einer guten Vorbereitung zur Therapie auf Reise mit anschließender Nachsorge
Reisetherapie. Psychische Erkrankungen auf Reisen? Was nun? Reisende mit psychischen Erkrankungen sollten sich gut auf ihre Reise (oder ihren langen Auslandsaufenthalt) vorbereiten. Wer sich bereits im Vorfeld in eine psychotherapeutische Behandlung begeben hat, kann mit seinem Arzt oder Psychotherapeuten die bevorstehende Reise und in diesem Zusammenhang bestehende Ängste und Sorgen thematisieren. Zudem können psychiatrische und psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlungen auf Reisen können die Beschwerden lindern. Psychiatrische Notfälle werden meist psychopharmakologisch behandelt. Kontraindizierte Medikamente wie Mefloquin werden nicht als Notfallselbstmedikation empfohlen, da sie psychische Symptome auslösen oder verstärken können. Reisende, die bestimmte Medikamente auch während ihrer Reise oder einem langen Auslandsaufenthalt benötigen, sollten mit einem Reisemediziner sprechen und sich ausführlich beraten lassen. Außerdem sollten sich vulnerable Reisende, mit bereits vor der Reise vorhandenen psychischen Erkrankungen, gut vorbereiten, um Schlimmeres während einer Reisen vorzubeugen. Zur Reisevorbereitung gehören zum Beispiel, neben der Planung von Reiseroute und Reiseaktivitäten, eine reisemedizinische Beratung, Impfungen, Medikamentenaufklärung und zeitzonenangepasste Dosierung, international gültiges Attest, Notfallplan vor Ort, Jatlag-Prophylaxe sowie die Möglichkeit zur Nachsorge. Nach Rückkehr sollte man seinen psychischen Symptomen Beachtung schenken und ggf. eine psychologische oder psychiatrische Beratung aufsuchen. Wenn die psychischen Beschwerden stark ausgeprägt sind, kann eine Therapie sehr empfehlenswert sein. Eine posttraumatische Belastungsstörung kann beispielsweise Wochen bis Monate nach Rückkehr von einer emotional belastenden Reise auftreten. Neben den Solo-Reisenden, Backpackern, Auswanderer sowie den traumatisierten Migranten und Flüchtlingen, gehören AuPairs, Soldaten, Entwicklungshelfer und Journalisten zu den Risikoberufen, die im Ausland prägende Erfahrungen sammeln.
Quellen:
- Laux, G. (2017). Psychische Störungen auf Reisen und bei Auslandsaufenthalten. Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie. Springer Reference Medizin.
- Weltgesundheitsorganisation [WHO] (2019). Psychische Gesundheit – Faktenblatt. Link: https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/404853/MNH_FactSheet_DE.pdf
- Reiseanalyse (2023). Erste Ergebnisse. Link: https://reiseanalyse.de/downloadbereich/erste-ergebnisse/