Traumatisierung auf Reisen – Traumatische Erlebnisse im Ausland
Traumatisierung auf Reisen sind nicht unüblich. Traumatische Ereignisse geschehen überall auf der Welt. Diebstahl, Geiselnahme, körperliche und sexualisierte Gewalt oder Missbrauch, aber auch Unfälle oder Umweltkatastrophen können überall geschehen. Jeder kann mit solchen Situationen konfrontiert werden, wenn man genau zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort ist. Ich spreche hier also nicht nur die Reisenden an, die sich an gefährlichen Orten aufhalten oder risikoreiche Aktivitäten machen.
Traumatisierung und Posttraumatische Belastungsstörung während eines Auslandsaufenthaltes
Traumatische Erfahrungen während einer Reise können die innere Welt des Betroffenen stark erschüttern. Wenn man etwas Schreckliches auf einer Reise oder bei einem längeren Aufenthalt im Ausland erlebt, findet man nicht direkt die benötigte Hilfe. In dem Moment befindet man sich nicht in seiner gewohnten und sicheren Umgebung. Die nötige soziale Unterstützung durch Freunde, Familie und Verwandte ist dementsprechend gering oder sogar gar nicht gegeben. Im schlimmsten Fall ist man als Solo-Reisende(r) auf sich allein gestellt und hat nicht genug Sprachkenntnisse um sich mit den Einheimischen zu verständigen und diese um Hilfe zu bitten.
Traumatisierung auf Reisen – Ab wann spricht man von einer Traumatisierung und wann von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)?
Wenn ein Reisender etwas Negatives unterwegs erfährt, heißt es nicht gleich, dass eine Traumatisierung stattgefunden hat. Aber wann spricht man davon? Die Wahrscheinlichkeit für eine Traumatisierung steigt, wenn man mindestens eine der folgenden subjektiv empfundenen Erfahrungen macht: (1) extremes Ausmaß oder starke Intensität eines Ereignisses, (2) massive persönliche Betroffenheit, besonders bei eigener Lebensgefahr, (3) Hilflosigkeitsgefühl, Machtlosigkeit oder Gefühl, ausgeliefert zu sein. Wenn das Trauma mehrmals auftritt oder lange anhält, wird die Wahrscheinlichkeit höher, dass der Betroffene eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt.
Durch welche psychischen Beschwerden wird die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) gekennzeichnet?
PTBS-Symptomatik:
- Intrusionen, das Wiedererleben von Erinnerungen, Bildern, Albträume, Flashbacks
- Vermeidung von bestimmten Situationen und Orten, Rückzug
- Starre, Leere, Gefühlsvermeidung, Interessenminderung
- andauernde Übererregung Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit
- Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen
Traumatisierung auf Reisen – Was kann ich tun?
Wichtig ist, tief durchzuatmen und so gut es geht die Ruhe zu bewahren. Dann sollte so schnell wie möglich Hilfe geholt werden. Und das am besten innerhalb er ersten 48 Stunden. Falls niemand mitreist und man niemanden vor Ort kennt, sollte Kontakt mit den Einheimischen aufgenommen werden. Egal wie. Wenn es sein muss, dann halt mit Händen und Füßen. Wer ein Handy mit hat, kann Übersetzer-Apps nutzen, um sich mit den Menschen vor Ort kommunizieren zu können. Je nachdem was passiert ist, sollte direkt ein Arzt oder ein Psychologe aufgesucht werden. Bei körperlichen Verletzungen bitte direkt ins nächste Krankenhaus. In größeren Städten gibt es oft private Krankenhäuser, mit englischsprachigem Personal. Die Kosten sollten zunächst keine Rolle spielen, wenn es um die eigene Gesundheit geht. Vorbeugen kann man dem, indem man vor der Reise eine gute Reisekrankenversicherung für sich abschließt. Diese deckt im besten Fall auch psychologische Hilfe vor Ort ab.
Was passiert im Gespräch mit einem Psychologen oder Traumatherapeuten?
- Psychologische Erste Hilfe, bevorzugt innerhalb der ersten 48 Stunden.
Der Psychologe oder Therapeut wird zunächst das Gefühl von Sicherheit und emotionale Präsenz vermitteln. Falls nötig, werden die Grundbedürfnisse des Betroffenen zunächst befriedigt. Dazu zählen z.B. Nahrungsaufnahme und der Schlaf. Im Gespräch wird der Betroffene gefragt, was er oder sie braucht. Oft wird man in dem Moment sehr emotional, das ist ganz normal. Das Zulassen von Gefühlen (u.a. Angst, Traurigkeit, Wut) ist wichtig und gewünscht. Dabei ist es wichtig, alles rauszulassen, was raus muss. Einige Betroffene sind noch im Schock und empfinden eine gewisse emotionale Leere und zeigen dementsprechend keine Emotionen. Das ist nicht untypisch in solchen Fällen. In dem psychologischen Gespräch geht es auch thematisch um das erlebte Ereignis, aber der Psychologe oder Therapeut fragt nicht nach allen Details. Viele Betroffene können nämlich noch gar nicht über das Erlebte sprechen. Es reicht also völlig aus, wenn man nur ein paar Begriffe nennt, sodass der Psychologe weiß, um was es geht. Primär steht nämlich die aktuelle Sicherheit des Betroffenen im Vordergrund und nicht das detaillierte Abfragen des Erlebten.
- “Watchful Waiting” (3 Tage bis 3 Monate nach Ereignis). In dieser Phase sind aufklärende Gespräche sehr wichtig. Währenddessen steht Psychoedukation, also Vermittlung psychoedukativer Informationen, im Fokus. Einfach gesagt, der Betroffene wird über die psychologischen Prozesse während und nach einem traumatischen Erlebnis aufgeklärt. Außerdem beobachtet man die Symptomentwicklung und dokumentiert, ob die Symptomatik zurückgeht oder eher zunimmt.
- Psychotherapie (bei Bedarf nach 1 bis 3 Monaten nach dem Ereignis). Dies kann sowohl auf Kosten der Krankenkasse (nur bei Therapeuten mit Kassensitz ! ) oder auf private Rechnung für Selbstzahler geschehen. Vorzugsweise geht der Betroffene zu einem Psychotherapeuten mit einem trauma-spezifischen Schwerpunkt. Betroffene können nach Therapeuten suchen, die zum Beispiel eines der folgenden Begriffe auf ihrer Webseite platziert haben: (1) Behandlung von Traumatisierungen und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), (2) Traumafokussierte Psychotherapie, (3) Spezielle Traumapsychotherapie, (4) EMDR-Therapie bzw. Bearbeitung von traumatischen Erinnerungen, (5) Ego-State-Therapie (EST), (6) Psychodynamisch imaginative Traumatherapie (PITT). In der Traumatherapie geht es dann um die Behandlung von den psychischen Beschwerden, die sich durch die Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis entwickelt haben und nicht zurückgegangen sind. Empfehlenswert ist die Behandlung bei einem Therapeuten des Vertrauens in der Heimat. Alternativ kann die Therapie auch bei einem Therapeuten durchgeführt werden, der die Muttersprache des Betroffenen beherrscht.
Quelle:
Bellinger, M., Fliege, H. (2011). Psychische Traumata bei Auslandsaufenthalten – Entstehungsbedingungen und Frühintervention. Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin – FTR, 18(5), 230–234. doi:10.1055/s-0031-1293529
Dilling, H., Freyberger, H.J. (2019). Taschenführer zur ICD–10–Klassifikation psychischer Störungen: Mit Glossar und Diagnostischen Kriterien sowie Referenztabellen ICD–10 vs. ICD–9 und ICD–10 vs. DSM–IV–TR Taschenbuch. Hogrefe AG.